Prinzip #6: Enabling

Liste der Artikel über unser Leitprinzipien

Author: Markus Peschl & Oliver Lukitsch

Bevor wir in das Thema einsteigen, möchten wir Sie darauf aufmerksam machen, dass der aktuelle Blogbeitrag zu einer Serie gehört, in der wir die Leitprinzipien von theLivingCore vorstellen. Diese Prinzipien leiten unsere Arbeit mit unseren Kund:innen, und wir wenden sie auch auf uns selbst an. Wenn Ihnen gefällt, was Sie lesen, sollten Sie sich unsere anderen Beiträge nicht entgehen lassen. Das Prinzip, mit dem wir uns heute beschäftigen, ist das Konzept „enabling“. Es ist ein grundlegendes Konzept, der das Herzstück unseres Ansatzes für Innovation und Change bildet – aber auch dafür, wie wir über Räume für Wissens und Innovationsprozesse, so gennante „Enabling Spaces“, denken. Nicht zuletzt können wir aber etwas Essentielles über das Wesen agiler Führung lernen.

Kommen wir zur Sache.

Ermöglichung von Innovation

Innovation-Leader wären froh, wenn sie Innovation auf mechanistische oder vorhersehbare Weise planen, anordnen und kontrollieren könnten. Es ist jedoch ein Irrglaube, diesen Wunsch auch nur zu hegen. Wir haben bei mehreren Gelegenheiten argumentiert, dass man Innovation weder anordnen, kontrollieren, noch vorhersagen kann.

Der Grund, warum dies nicht funktioniert, ist, dass Innovation das genuin Neue erfordert. Es liegt jedoch in der Natur des Neuen, dass es nicht vorhergesehen werden oder erzwungen werden kann. Etwas wirklich Neues kann man nicht im Voraus wissen.

Denn bevor Neues entstanden ist, wir es also noch nicht erfahren haben könnten, können wir es auch nicht vorhersagen. Anders ausgedrückt: Wir sind gut darin, Dinge aus unseren vergangenen Erfahrungen vorherzusagen, die mehr oder weniger so wiederkehren, wie sie es in der Vergangenheit getan haben. Im Vergleich dazu sind jene Phänomene, die einfach noch nicht vorhanden sind oder sich von unserer Vergangenheit (Erfahrung) unterscheiden, unvorhersehbar.

Zugegeben, das klingt alles sehr defätistisch. Aber kann Innovation einfach zufällig entstehen? Ist sie wirklich etwas, das wir nicht kontrollieren können? Können wir nicht Bedingungen schaffen, die ihr Entstehen wahrscheinlicher machen?

Wir behaupten, dass wir Innovationen nicht mechanistisch planen oder verwalten, sie aber ermöglichen (cf. „ to enable“) können, indem wir ein geeignetes Umfeld schaffen, das ihr Entstehen stark begünstigt. Die Herausforderung besteht darin, ein Umfeld zu schaffen, das die Prozesse zur Schaffung neuen Wissens unterstützt. Wir bezeichnen diese Umgebungen als „Enabling Spaces“ (Peschl & Fundneider, 2012).

Was dies für Innovations- und Wissensprozesse bedeutet, haben wir in diesem Blogbeitrag ausführlich beschrieben. Um „Enabling“ besser zu verstehen, schlagen wir aber vor, das Thema Leadership genauer zu betrachten.

Leadership

Das Konzept des „enabling“ verändert unser Verständnis von Führung auf tiefgreifende Weise. Dies ist insbesondere für die Führung in (vermeintlich) agilen oder selbstorganisierten Arbeitsumgebungen relevant. Um in solchen Arbeitsumgebungen erfolgreich zu sein und sie wirklich agil zu machen, muss man anders über Führung denken, wie wir Ihnen in unserem Blogbeitrag zeigen werden. Lassen Sie uns hier mehr ins Detail gehen.

Ermöglichen versus Befehlen

Heutige Unternehmen gestalten ihre Arbeitsplätze oft so, dass sie „agil“ sind und selbstorganisiertes Arbeiten ermöglichen. Einer der Kerngedanken des agilen Arbeitens ist, dass Führungskräfte ihren Mitarbeiter:innen wesentlich mehr Verantwortung zusprechen. Sie ermöglichen es den Teams, ihre Arbeitsweisen und Prozesse selbst in die Hand zu nehmen, Entscheidungen zu treffen und sogar ihre eigenen Ziele zu setzen (in Übereinstimmung mit der Strategie des Unternehmens).

Dies hat große Auswirkungen und Vorteile für eine Organisation. Es macht ihre Prozesse flexibler und ermöglicht es ihr, positiv auf Marktveränderungen und gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Außerdem können die Mitarbeiter:innen ihre Projekte selbst in die Hand nehmen, können dabei ein weitreichendes Verantwortungsgefühl entwickeln und empfinden Projekte als ihre eigenen (und nicht, als würden sie die Projekte anderer stemmen). Darüber hinaus werden Managementressourcen von der operativen Steuerung der Teams für strategische Themen und übergeordnete Planungen freigesetzt.

Agiles Organisationsdesign kann auch Nachteile haben. Sie sind weniger vorhersehbar, und einige Prozesse können in solchen Organisationen und Teams länger dauern. Die Entscheidungsfindung kann beispielsweise länger dauern, weil der endgültigen Entscheidung möglicherweise langwierige Diskussionen vorausgehen. Und Manager:inen könnten das Fehlen klarer, kontrollierbarer Strukturen bedauern und sich fragen, was ihre Aufgabe in all dem ist. Schließlich ist es ein fest verankertes Konzept, dass Führungskräfte gewissermaßen „kommandieren“.

„Command and Control“

Agile Führung und Organisationsgestaltung stehen in krassem Gegensatz zur sogenannten „Command and Control“-Führung. „Befehl und Kontrolle“ bedeutet, dass Führungskräfte Pläne und Entscheidungen treffen und diese an ihre Untergebenen weitergeben. Dabei erhalten ihre Mitarbeiter klare Vorgaben und Regeln, was sie zu tun haben. Wenn etwas schiefläuft, muss die Führungskraft die volle Verantwortung übernehmen.

Dieser Führungsstil kann sehr effektiv sein – und bemerkenswert berechenbar. Denn wenn die Aufgabe von Mitarbeiter:innen darin besteht es, Befehle auszuführen, kann die Führung einer Organisation (zumindest prinzipiell) das, was ihre Mitarbeiter:innen tun, vollständig vorhersagen.

Ein weiteres entscheidendes Merkmal des Command-and-Control-Managements ist die Art und Weise, wie Herausforderungen gesehen und Ziele gesetzt werden. Herausforderungen, bzw. die Aufgaben eines Unternehmens werden als Probleme gehandhabt, die auf fast algorithmische Weise gelöst werden können. Das entsprechende Paradigma wird (von der Wissenschaftstheorie) als „problem solving“ bezeichnet und bedeutet, dass von Anfang an ein klares Ziel vorgegeben ist und die Organisation den besten Weg finden muss, um das vorgegebene Ziel zu erreichen. Stellen Sie sich die Aufgaben des Managements dabei wie ein Schachspiel vor. Es gibt einen vordefinierten Problemraum und klare Regeln, und obwohl es vollzählige Möglichkeiten gibt, eine Schachpartie zu gewinnen, gibt es dennoch eine optimale Strategie, die zu identifizieren und verfolgen gilt.

Wie zu Beginn dieses Abschnitts erwähnt, gibt es gute Gründe, die „Command and Control“-Führungs- und Organisationsstruktur durch eine agile Struktur zu ersetzen. Klassische Führungsstrategien machen Ihre Organisation und Ihre Teams weniger flexibel, weniger autonom und damit anfälliger für ein unsicheres, sich schnell veränderndes Umfeld.

Dies geht auch auf Kosten des Engagements Ihrer Mitarbeiter:innen. Es ist weniger wahrscheinlich, dass sie diese ihre Projekte „zu eigen“ machen oder das Gefühl haben, einen sinnvollen Beitrag (im Sinne des Unternehmens aber auch im Sinne ihres eigenen Lebens) zu leisten. Schließlich befolgen die Mitarbeiter:innen nur „Befehle und von außen vorgegebene Regeln“. Sie sind nicht diejenigen, die die Kontrolle haben oder verantwortlich sind.

Die „enabling attitude“ in der Führung

Die Abschaffung des Command-and-Control-Managements wird nicht automatisch in eine agile Organisation münden. Wahrscheinlicher ist, dass Ihre Teams danach auf der Suche nach Führung und klarer Orientierung sind währenddessen das Management sich fragt, warum es überhaupt noch gebraucht wird.

Selbstorganisation und agiles Arbeiten finden jedenfalls nicht im luftleeren Raum statt. Vielmehr müssen solche Prozesse erst ermöglicht werden. Kurz gesagt: Damit Ihre Teams ihr Bestes geben können, müssen Sie ihnen den richtigen Rahmen und das richtige Umfeld bieten, damit sie ihr Potential entfalten können.

Das ist leichter gesagt als getan. Um als „enabling leader“ zu agieren, braucht man eine Reihe von Fähigkeiten, die sich radikal von jenen unterscheiden, die für das Führen mittels Command-and-Control erforderlich waren.

Wenn eine Organisation, ihre Führungskräfte und ihre Mitarbeiter:innen eine „enabling attitude“ (d.h. eine ermöglichende Haltung)einnehmen, bedeutet dies einen grundlegenden Wandel in der Art und Weise, wie man seine Arbeit gestaltet.

Command and Control Enabling 
Planbar, regelbasiert, algorithmisch Ermöglichung 
Befolgung von Regeln und „Rezepten“, Ausführen von Routinen  Bereitstellung eines unterstützenden Umfelds und förderlicher Rahmenbedingungen 
Versuch, die Dinge unter Kontrolle zu halten Dinge loslassen, dem Fluss folgen 
Problemlösung und „Rätsellösung“ Problemstellung & Paradigmenbildung 
Sich innerhalb des vorgegebenen Problemraums bewegen Hinterfragen von Annahmen und Methoden, offenes Ende 
Analytisch, „wissenschaftsähnlich“ Design (-thinking) basiert & „künstlerisch“ 
Ausgehend von bereits bestehenden Lösungen, die sich mit Details befassen Mit einem leeren Blatt beginnen und die große Perspektive einnehmen 

Fond Soziales Wien

Aber wie sieht es aus, wenn eine Organisation eine „enabling attitude“ fördert? Wir möchten ein Beispiel für eine Organisation vorstellen, die wir in einem Leadership-Projekt begleitet haben, das das Ziel hatte, die Organisation (und vor allem die Arbeitsweise der Führungskräfte) agiler zu machen. Kurz gesagt, wir haben ihnen geholfen, eine „enabling attitude“ zu kultivieren.

Der „Fond Soziales Wien“ (FSW) ist ein Unternehmen der Stadt Wien, das zwar privatwirtschaftlich organisiert ist, aber der Erfüllung gemeinnütziger Zwecke dient. Aufgabe des Fonds ist die Planung, Vermittlung und Förderung sozialer Dienstleistungen für Menschen mit Pflege- und Betreuungsbedarf, Behinderungen, Schuldenproblemen und Mobilitätsbedarf sowie für Menschen ohne Obdach und Wohnung in Wien.

Der FSW gilt zwar als Wiener Erfolgsgeschichte und als sehr erfolgreich in der Erfüllung seiner Aufgaben, ist sich aber auch der Veränderungen in der Arbeitswelt bewusst. Der Arbeitsmarkt wird schwieriger und damit ist es für Unternehmen entscheidend, attraktive Angebote für ihre zukünftigen MitarbeiterInnen zu haben. Außerdem erfordert eine zunehmend instabile und unberechenbare Welt eine „enabling attitude“in Führung und Management.

Die Herausforderung

Eine Besonderheit des FSW ist, dass er eine große Organisation mit mehr als 2.000 Mitarbeiter:innen ist. Um eine Organisation dieser Größe über Wasser zu halten, ist Command-and-Control ein probates Mittel, um Prozesse zu kontrollieren und das Unternehmen auf Kurs zu halten. Die Führungsstruktur und -kultur wurde top-down organisiert, während die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den verschiedenen Abteilungen als zweitrangig galt.

Angesichts der Tatsache, dass Bewerber:innen sehr wählerisch sind – und dass agiles und selbstorganisiertes Arbeiten in unserer komplexen Welt zu einer Notwendigkeit geworden ist, hat sich der FSW das Ziel gesetzt, seine Führung anders zu denken.

Unser Ansatz

Da wir uns der Herausforderungen des FSW bewusst waren, haben wir uns daran gemacht, die Führungskultur des Unternehmens in allen Bereichen und auf mehreren Managementebenen zu verändern. Das ist eine gewaltige Aufgabe für ein Unternehmen dieser Größe, das aus verschiedenen, sehr unterschiedlichen Abteilungen und Tochtergesellschaften besteht. Das haben wir getan:

  • Wir bildeten eine Gruppe von Führungskräften, die das gesamte Unternehmen repräsentierten, indem wir diese aus verschiedenen Abteilungen und Tochtergesellschaften sorgfältig rekrutierten.
  • In einer Reihe von Workshops und durch tiefreichende Gespräche (so gennante generative Interviews) erarbeiteten wir die Anforderungen und eine Vision für die künftige Führung im FSW, wobei wir das Top-Management der Organisation und Führungskräfte aus verschiedenen Führungsebenen kontinuierlich eingebunden haben.
  • Gemeinsam mit dem Projektteam haben wir sieben Führungsprinzipien für den gesamten FSW sorgfältig erarbeitet. Dabei ging es um verschiedene Themen, von der Fehlerkultur über die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit bis hin zur kreativen Selbstbestimmung innerhalb der Teams.
  • Wir verbreiteten die Führungsprinzipien in einer Reihe von Workshops mit der gesamten FSW-Führung, um ein gemeinsames Verständnis für die Prinzipien in der gesamten Organisation zu schaffen.
  • Wir beauftragten die sämtliche Führungskräfte des Unternehmens damit, die Prinzipien und ihr Potential in ihrem Arbeitsalltag zu erkunden
  • Darüber hinaus förderten wir die Entwicklung von Prototypen für Führungspraktiken, unter anderem in den Bereichen Onboarding, Wissensmanagement und demokratische Führung.

Am wichtigsten ist, dass die neuen Führungsgrundsätze dem FSW nicht einfach aufgezwungen wurden. Stattdessen ermöglichten wir es dem FSW, seine Grundsätze „von innen heraus“ zu entwickeln. Die Erarbeitung der Führungsprinzipien war bereits ein Schritt zur Abkehr von der „Command-and-Control“-Führung, der es dem mittleren Management ermöglichte, leitende Grundsätze zu entwickeln. Auf diese Weise war die Organisation in der Lage, sich Prinzipien rasch zu eigen zu machen.

Vor allem aber sind die Führungsprinzipien agil; sie ermöglichen Selbstorganisation und Autonomie der Mitarbeiter und laden die Organisation dazu ein, sie regelmäßig zu überdenken, um in Zukunft flexibel zu bleiben.

Haben wir Ihr Interesse an der Idee des „enabling“ geweckt? Stehen Sie vielleicht vor ähnlichen Herausforderungen wie der „Fond Soziales Wien“? Wir würden uns freuen, wenn Sie sich mit uns in Verbindung setzen.

Aller Anfang ist einfach.

Sind Sie neugierig, über den Tellerrand zu blicken? 
Sind Sie bereit für den nächsten Schritt? 
Dann sprechen wir doch einfach miteinander! 
Alle unsere erfolgreichen Projekte haben so begonnen.
Gemeinsam können wir eine wünschenswerte Zukunft gestalten.


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