Offenheit und Privatsphäre: Was bedeuten sie für unsere Arbeitswelten?

Von Jahr zu Jahr steigt der Anteil automatisierter, maschineller Arbeit. Dadurch stellt sich immer dringlicher die Frage, was uns Menschen eigentlich besonders macht und wie die Rolle menschlicher Arbeit in einer digitalisierten Welt zu verstehen ist. Oft wird an dieser Stelle unsere Empathie genannt: Berufe in denen das menschliche Einfühlungsvermögen gefragt ist, würden demnach an Bedeutung gewinnen. Aber auch ganz im Allgemeinen unterscheidet sich unsere Denkfähigkeit von rein maschineller Rechenkapazität; denn Maschinen denken weder kritisch, noch sind sie zur menschlichen Kreativität befähigt. Letztendlich darf auch nicht vergessen werden, dass der Sinn der maschinellen Arbeit darin verborgen liegt, dass Menschen ihr diesen zuallererst geben. 

Viele Organisationen sind sich dessen Bewusst, dass Menschen nicht ohne Weiteres durch Maschinen ersetzt werden können – und pflegen daher das Mindset einer klaren Unterscheidung zwischen maschineller und menschlicher Arbeit. Oft gibt es in Unternehmen jedoch auch erheblichen Raum für Verbesserungen, um diese Unterscheidung tatsächlich zu leben und zutiefst menschliche Potentiale zu kultivieren. Dies zu erreichen, erfordert Mühe und Geduld. Denn oft herrscht in Organisationen noch eine unterschwellig mechanistische Auffassungen von Arbeit vor: zu oft wird der Mensch noch als “Maschine” gedacht und eben nicht als Mensch. Solche unterschwelligen Mindsets sind ein gewichtiges Hindernis für das Bewusstsein, dass menschliches Potential von maschineller Leistung klar getrennt werden muss.  

Ein Thema, das den oben beschriebenen Wandel veranschaulicht, ist die Transparenz. Häufig trifft man Führungskräfte an, die Transparenz, sei es in organisatorischen Abläufen oder bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen, zu ihren obersten Prioritäten zählen. Häufig wird dieses Anliegen fast wortwörtlich verstanden und umgesetzt. Das äußert sich im Einsatz von Glaswänden und im Wandel hin zu Großraumbüros. 

Andererseits hat dies zur Folge, dass genau jene MitarbeiterInnen, die als DenkerInnen und kreative Geister angesehen werden, sich nicht mehr entfalten und ihren Potentialen gerecht werden können, da hierfür ein “ermöglichender Rahmen” fehlt. 

Das lässt sich dadurch erklären, dass unsere Privatsphäre eine essentielle Bedingung für kreatives, unabhängiges Denken darstellt – und die Arbeit, die darauf beruht. Kurzum: wir können uns am ehesten erlauben, uns kreativ zu entfalten, wenn wir im Schutz der Privatsphäre, unbeobachtet oder mit einer Gruppe unseres Vertrauen arbeiten. 

Wie sollen wir nun Transparenz in unserer Arbeitswelt verstehen? Von wem können wir Transparenz erwarten und in welchen Bereichen?

Byung-Chul Han, der Autor von “Burnout Society”, behauptet, dass Transparenz Vertrauen eigentlich nicht ermöglicht, sondern vielmehr ersetzt. Er argumentiert also, Transparenz sei nur dann notwendig, wenn Menschen einander eben nicht vertrauen. Denn in einer vertrauensvollen Beziehung müssen die Menschen nicht alles übereinander wissen, da die eigentliche Funktion des Vertrauens (laut Han) darin besteht, nicht alles über unser Gegenüber wissen zu müssen und dementsprechend handeln zu können.

Zunehmendes Misstrauen und der Ruf nach Transparenz sind also zwei Seiten derselben Medaille. Immer häufiger wird beispielsweise der “Vertrauensverlust” in die Demokratie, deren Institutionen und die Gesellschaft als Ganzes attestiert. Gleichzeitig hat laut Google Ngram die relative Häufigkeit des Wortes “Transparenz” in gedruckten Quellen in den letzten 100 Jahren um 760% zugenommen. PolitikerInnen, die ihre Meinung auf Basis neu gewonnener wissenschaftlicher Erkenntnisse ändern, werden als irrational ausgewiesen – schließlich ließe sich anhand zahlreicher Online-Quellen deren Wortbruch nachweisen. (Und das abgesehen davon, dass PolitikerInnen immer häufiger davor zurückschrecken unpopuläre Entscheidungen zu treffen.)

Gibt es über die Transparenz nur Schlechtes zu berichten? Nein, es gibt auch eine Reihe von Errungenschaften, die man durchaus der Transparenz zu verdanken hat. Die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede verringern sich beispielsweise deutlich, wenn Unternehmen zur Offenlegung von Lohndaten verpflichtet werden. Einige solcher Unternehmen veröffentlichen die Gehälter aller MitarbeiterInnen intern. Manche wagen sogar eine radikalere Form der Transparenz. Buffer, ein Social-Media-Unternehmen, stellt sämtliche Gehälter sogar online – Sie könnten diese also jederzeit einsehen. Was zunächst abschreckend klingt, hat bei Buffer zu einer Verdoppelung der Einstellungsgesuche und einer höheren MitarbeiterInnenzufriedenheit geführt.

Betrachtet man Organisationen, die sich Transparenz auf die Fahnen heften, so kann man festhalten, dass sie vor allem dann vorteilhafte Wirkung entfaltet, wenn sie Machtverhältnisse berücksichtigt. Unternehmen, die Überwachungssoftware einsetzen, um die Arbeit ihrer MitarbeiterInnen jederzeit einsehen zu können, mögen dies mit den Hinweis auf Transparenz rechtfertigen – es handelt sich aber vielmehr um Kontrollmaßnahmen. 

Kommen hingegen Regeln zur Anwendung, die Führungspersonal und Manager zu transparentem Verhalten bewegen, so kann dies zum Ausgleich von Machtverhältnissen führen und von einer Mehrheit der MitarbeiterInnen als positiv empfunden werden. Wohlgemerkt kann man auch dem Führungspersonal nicht absprechen, bestimmte Arbeiten besser unter Wahrung derer Privatsphäre zu verrichten.  

Die Wahrung der Privatsphäre und deren Einklang mit Transparenz sind ein wichtiger Balanceakt. Eines darf dabei nicht vergessen werden: Es bleibt ein menschliches, psychologisches Bedürfnis, regulieren zu können, wir wir uns der Welt offenbaren. Manche öffentliche Personen, wie z.B. Mark Zuckerberg, behaupten, dass wir bereits in das Zeitalter vollständiger Transparenz eingetreten sind. Es ist liegt aber in unserem Wesen, entscheiden zu können, welche Seiten unseres Selbst und unserer Identität wir bestimmten Personengruppen oder Individuen zeigen. Wir offenbaren uns als eine bestimmte Person in der Arbeit, in unseren Familien, unter unseren FreundInnen und natürlich in der Öffentlichkeit. Wir dürfen nicht vergessen, dieses Bedürfnis schlichtweg der Transparenz zu opfern. 

Transparenz, so wie hier bereits beschrieben, bedeutet, dass die oben genannten Unterschiede, in der Weise, wie wir uns anderen zeigen, aufgelöst sind. Transparenz muss aber auch von Offenheit unterschieden werden. Denn im Vergleich zu Transparenz setzt die Offenheit voraus, dass man sich anderen gegenüber bereitwillig öffnet. Man tut dies, wenn man einander vertraut – und es sich richtig anfühlt. Offenheit kommt also von innen und wird von der Qualität der Beziehung zum Gegenüber motiviert; Offenheit ist empathisch motiviert. Das Anliegen der Transparenz hingegen versteht den Menschen als mechanistisches Wesen, als Datenbank voller verwertbarer Informationen, die von außen frei zugänglich sein sollte.

Sollten wir es also auf mehr Transparenz ankommen lassen, so dürfen wir Folgendes nicht vernachlässigen:

  1. Eine Definition des Grundes von mehr Transparenz: Warum ist sie notwendig und ist sie sinnvoll?
  2. Unterscheidung zwischen Transparenz und Offenheit: Transparenz kann vor allem in digitalen Infrastrukturen sinnvoll sein, während Offenheit den Menschen und seine besonderen Wesenszüge berücksichtigt.
  3. Festlegung spezifischer, erwünschter Ergebnisse und deren letztendliche Überprüfung.
  4. Das Bedürfnis nach Privatsphäre nicht gegen die Transparenz ausspielen und sie nicht als widersprüchlich ausweisen.

Wie ist es nun um die Forderung nach Glaswänden und Großraumbüros bestellt, wenn man Transparenz so betrachtet, wie wir es getan haben? Transparenz muss zuallererst in einer Kultur, bzw. einem Mindset der Offenheit verankert sein. Will man eine solche Kultur oder ein solches Mindset ins Treffen führen, so stellt sich schnell heraus, dass wir uns weniger mit vorgefertigten Lösungen, wie z.B. Glaswänden befassen, sondern dem Thema auf eine sinnvollere und nachhaltigere Weise begegnen können.

Will man die Rahmenbedingungen für einen Wandel hin zur Offenheit schaffen, so ist essentiell, dass wir Menschen die Freiheit und Kontrolle darüber zurückgegeben, wie sie sich anderen gegenüber öffnen. Nichts Gutes kann dabei herauskommen, MitarbeiterInnen schlichtweg zu gläsernen Menschen zu machen. Dies würde ihrem psychologischen Bedürfnis nach Privatsphäre zuwiderlaufen und genau die menschlichen Kapazitäten untergraben, die nicht durch Maschinen ersetzt werden können. Zugleich soll dies nicht als Aufruf verstanden werden, die Transparenz aufzugeben. Vielmehr müssen wir Räume entwerfen, die unterschiedlichsten Anforderungen der Privatsphäre und Transparenz gerecht werden. Solche Räume reichen von privaten Fokusräumen für Einzelne, halb-privaten Projekträumen, bis hin zu öffentlicheren Sozial- und Präsentationsräumen. Die räumliche Vielfalt wird so zum Ermöglicher (“Enabler”) des menschlichen Bedürfnisses, seine Privatsphäre selbst zu regulieren, um somit zutiefst menschlichen Potenzialen einen Nährboden zu geben.

Wie kann es im Konkreten aussehen, wenn wir versuchen, diesen grundsätzlich menschlichen Wesenszügen gerecht zu werden? Werfen Sie einen Blick auf eines unserer Enabling Spaces-Projekte, um zu sehen, wie wir Innovationsräume konzipierenn, die den Menschen als Menschen und eben nicht als Maschine verstehen.

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Weiterführende Literatur:

Allen, Thomas J., and Gunter Henn. The Organization and Architecture of Innovation: Managing the Flow of Technology. 1st Edition. Amsterdam ; Boston: Butterworth-Heinemann, 2006.

Bennedsen, Morten, Elena Simintzi, Margarita Tsoutsoura, and Daniel Wolfenzon. “Research: Gender Pay Gaps Shrink When Companies Are Required to Disclose Them.” Harvard Business Review, January 23, 2019. https://hbr.org/2019/01/research-gender-pay-gaps-shrink-when-companies-are-required-to-disclose-them.

Han, Byung-Chul. The Burnout Society. 1st Edition. Stanford, California: Stanford Briefs, 2015.

“How Privacy Fuels Creativity: Sarah Lewis in IAPP Video | The Lavin Agency Speakers Bureau.” Accessed October 20, 2020. https://www.thelavinagency.com/news/how-privacy-fuels-creativity-sarah-lewis-in-iapp-video.

“Why These 3 Companies Are Sharing How Much Their Employees Make.” Accessed October 20, 2020. https://business.linkedin.com/talent-solutions/blog/trends-and-research/2019/why-these-3-companies-are-sharing-how-much-their-employees-make.

Autor: Michal Matlon
Image: Remi Walle at Unsplash

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