To Prompt or to be Prompted? Von der KI als Nachfolgerin des Menschen bis zum gemeinsamen “Sense-Making”.

Author: Oliver Lukitsch

Die mittlerweile allgegenwärtigen generativen KI-Systeme, über die wir in diesen Tagen viel diskutieren, wecken Befürchtungen, dass kreative menschliche Arbeit zunehmend an Maschinen ausgelagert wird. Im Zentrum dieser Befürchtungen steht die Vorstellung einer klaren Arbeitsteilung zwischen Menschen und Maschinen, zwischen uns und (generativen) KI-Systemen.

Dies ist zweifellos eine wichtige Debatte, die geführt werden muss. In diesem Blogbeitrag geht es jedoch um etwas anderes, nämlich darum, wie wir mit KI zusammenarbeiten können, um mit ihrer Hilfe einen sinnvollen Beitrag zu unserer Welt zu leisten. Wir glauben, dass “Teile und herrsche” der falsche Ansatz ist. Anstatt KI-Systeme einfach unsere Arbeit machen zu lassen, können wir vielmehr in einen sinnvollen (und partnerschaftlichen) Austausch mit KI treten, um unsere eigenen, menschlichen Ideen gründlicher zu erkunden. Dies wird für das Verständnis der Rolle von KI-Systemen bei der Schaffung neuen Wissens und bei Innovationsprojekten von entscheidender Bedeutung sein. Und es wird für jedes Unternehmen, das KI-Systeme einsetzt, entscheidend sein, um bei Wissensprozessen und insbesondere bei Innovationen in Zukunft erfolgreich zu bleiben.

Der Stand der Dinge

Man glaubt es kaum, aber ChatGPT wurde erst vor ein paar Monaten veröffentlicht. Die damit angestoßene KI-Debatte ist bereits weit fortgeschritten. In unserem letzten Blogbeitrag haben wir zum Beispiel aufgezeigt, wie KI die menschliche Kreativität und Autonomie einschränken könnte – ohne dabei selbst kreativ zu werden.

Es ist jedoch klar, dass KI ein enormes und exponentielles Potenzial hat, unser Leben grundlegend zu verändern. Ob dies zum Guten oder zum Schlechten geschieht, hängt davon ab, wie maßvoll und umsichtig wir den Übergang und die Einführung dieser neuen Technologie gestalten.

Derweil sich die Warnzeichen häufen, behaupten viele Kommentator*innen, dass KI-Systeme zu komplex seien, um sie überhaupt zu verstehen. Viele argumentieren, dass KI Arbeitsplätze vernichten würde – und da die neue Generation von Modellen inhärent generativ ist, könnte es sein, dass nicht lediglich Arbeitsplätze mit repetitiven Aufgaben betroffen sein werden, sondern auch jene, die Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten erfordern (und daher als dem Menschen vorbehalten galten). Diese Form der Arbeit (generative Wissensarbeit), ist teuer – solange sie von Menschen ausgeführt wird. Dies gilt auch für die Ausbildung von entsprechenden Fachkräften.

Die diversen Warnrufe haben aber einen gemeinsamen Kern: Die Idee, dass künstliche Intelligenz die menschliche Arbeitskraft ersetzen, sie überflüssig und irrelevant machen wird.

Davon ist zumindest teilweise auszugehen. Die Verdrängung von Arbeitsplätzen zeichnet sich bereits jetzt sehr deutlich ab. Diskutiert wird heute aber gar die Verdrängung der Menschheit; ein “Aussterbeereignis”.

Im Anbetracht dieser sehr ernsten Warnrufe mag es zunächst unpassend wirken, gerade hier die Perspektive zu wechseln. Wir denken, das ist es wert.

Verloren in der Arbeitsteilung

Wenn wir über die Koexistenz von Menschen und generativen KI-Systemen nachdenken, dreht sich unser Denken um die Idee einer klaren (wenn auch noch nicht vordefinierten) Arbeitsteilung. Die Idee ist, dass manche Aufgaben am besten (oder ausschließlich) von Menschen erledigt werden. Manch andere Aufgaben werden wiederum am besten von der KI erledigt. Diese Weise über die KI-Mensch-Beziehung zu denken, nehmen wir oft als selbstverständlich hin.

In diesem Sinne denken wir oft darüber nach, wie wir durch Maschinen ersetzt oder verdrängt werden. Dabei denken wir zunächst an nicht-generative KI-Systemen, die wir als nicht-kreativ betrachten, weil sie (repetitive) Aufgaben lösen, die gut automatisiert werden können. Eben dazu zählen z.B. selbstfahrende Autos, das Verkehrsmanagement, Stromnetzmanagement, Logistik oder Bauwesen, um nur einige zu nennen.

Mittlerweile spielt aber auch generative KI eine große Rolle – sie kann Aufgaben übernehmen, die bereits unter die klassische “Wissensarbeit” fallen; also jene Bereichen wie die Werbung, Journalismus, “Content Creation” (in sozialen Medien), Drehbuchschreiben oder Spieleentwicklung. Das ist natürlich keine vollständige Liste; klar ist aber, dass sie von Tag zu Tag länger wird.

So bleibt der Eindruck, dass es in unseren Debatten über die Macht und das Potenzial von KI-Systemen vor allem um eines geht: um die Frage ob wir oder sie?

Anders gesagt: Wo werden in Zukunft die Grenzen zwischen menschlicher Arbeit und KI-Fähigkeiten verlaufen? Das ist eine Frage, die sich jedes Unternehmen der Zukunft stellen muss, in dem der Einsatz von (generativen) KI-Tolls naheliegt. Letztlich geht es um die Frage, ob teure menschliche Arbeit an ein hocheffizientes und damit relativ „billiges“ KI-System „outgesourct“ werden kann.

Es ist also verständlich, dass diese Frage im Moment im Mittelpunkt steht. Sie ist zumindest für Unternehmen – und vielleicht für die Menschheit im Allgemeinen – existenziell.

“Knowledge Economy” ohne Menschen? 

Diese aktuelle Debatte ist alles andere als unwichtig. Aber sie darf uns nicht von der Tatsache ablenken, dass KI-Systeme auf dem Vormarsch sind, und zwar schnell. Wir werden dieser Entwicklung wohl oder übel entgegentreten müssen.

Wir sprechen heute über KI, weil die neue Generation von Systemen, die uns gerade beschäftigen (also DALL-E, ChatGPT, midjourney), generative Maschinen sind. Sie schaffen Inhalte und führen nicht lediglich repetitive Aufgaben aus.

Nicht-generative KI ist (mehr oder weniger) gut darin, analytische, nicht-kreative Aufgaben auszuführen (z. B. medizinische Diagnostik, Chatbot-Support, Datenmanagement). Generative KI-Systeme hingegen dringen in die Tiefen der Wissensökonomie und der menschlichen Wissensarbeit vor. Bislang kann KI nicht mit der menschlichen Kreativität und der Fähigkeit des Menschen, einfache Strukturen zu interpretieren und daraus Schlüsse zu ziehen, konkurrieren. Generative KI-Systeme (wie ChatGPT) können jedoch viel mehr. Alle jene Arbeitnehmer:innen, die mit (kreativem) Schreiben zu tun haben, wird sich in Zukunft die Frage stellen müssen, ob nicht eine generative KI besser dafür geeignet ist.

Wir sollten uns von diesen düsteren Szenarien aber nicht zurückschrecken lassen.

Denn wenn wir uns genauer ansehen, wie wir eigentlich mit KI-Systemen interagieren und uns mit diesen austauschen, so können wir dabei auch Formen der Interaktion erkennen, bei denen es nicht lediglich um das Ausverhandeln einer Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine geht. Bei genauerer Betrachtung beginnen wir nämlich bereits, gemeinsam mit KI sinnstiftend die Welt und uns selbst zu formen.

Lass uns zunächst kurz beschreiben, was wir damit genau meinen – und warum diese Diskussion für zukünftige Innovationsprojekte von großer Bedeutung sein wird.

Gemeinsames “Sense-Making” und “Emergent Meaning”

ChatGPT ist zweifelsohne sehr beeindruckend. Jede:r, der schon einemal mit dem Chatbot geschrieben hat oder versucht hat, ihn im Rahmen der Arbeit einzusetzen, weiß auch, dass man nicht ohneweiters übernehmen kann (oder sollte), was der Bot einem vorsetzt. Es gilt: Der Mensch muss die KI-Kreationen auf Sinnzusammenhänge überprüfen und nachschärfen. Und je unerwarteter und neuartiger der Inhalt sein soll, desto weniger kann ChatGPT zu seiner Erstellung beitragen. Viele, die mit dem generativen Tool arbeiten, berichten, dass es sie ausgezeichnet in ihrem Arbeitsablauf unterstützt (z.B. indem es ihnen Code zur Verfügung stellt). Interessant ist aber vor allem, dass die „Gespräche“ mit ChatGPT dazu führen, dass „Prompts“ (also der Eingabebefehl) kontinuierlich verfeinert, d.h. umformuliert wird, bis der Bot den Nutzer:innen genau das gibt, was sie wollen. Natürlich gibt es Momente, in denen die KI auf magische Weise etwas Nützliches aus dem Ärmel schüttelt.

Aber in den meisten Fällen folgt zuerst ein Ping-Pong-Spiel aus Frage und Antwort, welches erst im Laufe des Gesprächs zum gewünschten Ergebnis führt. Wir erleben dabei ein Hin und Her, ein „Loop“ zwischen uns und der Maschine. In diesem Prozess verfeinern wir das, was wir von ihr hören wollen. Und wichtiger noch: wir lernen dabei, was wir eigentlich sagen wollen und somit uns selbst besser zu verstehen. (In gewisser Weise lernen wir gemeinsam mit der Maschine.)

Man kann diesen Prozess auch als ein gemeinsames “Sense-Making” zwischen Mensch und KI beschreiben. Denn anhand der wechselseitigen Verfeinerung der Bedeutung, die man hervorbringen will, entstehen tatsächlich neue und für uns überraschende Inhalte und Einsichten.  

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Form des Sense-Makings nicht der Komplexität dessen entspricht, was Kognitionswissenschaftler:innen als “Participatory Sense-Making” bezeichnen, d. h. dem Prozess der Interaktion zweier autonomer Wesen. Am Sense-Making mit KI-Systemen ist bisher nur eine einzige autonom agierende Partei beteiligt, und das ist der Mensch in der Gleichung.

Die Dynamik zwischen einem menschlichen Agenten und seinem künstlichen Partner muss also nicht auf eine reine „Arbeitsteilung“ hinauslaufen. Vielmehr geht es um eine Interaktion, in der wir als Menschen gemeinsam mit dem Bot noch eine kreative Rolle spielen können. Wir dürfen unsere menschliche Kreativität im Austausch mit der KI nicht einfach “outsourcen”, sondern müssen die Interaktion nutzen, um unsere Kreativität auf eine andere Ebene zu heben.

Wir behaupten aber keineswegs, dass generative KI uns zu kreativeren Menschen macht oder unsere Kreativität stärkt. Wir sind uns vielmehr bewusst, dass KI unsere Kreativität sehr wohl untergraben kann, indem sie unsere „generativen“ Kräfte an KI-Systeme antritt. Solche Systeme haben damit das traurige „Potential“, unsere kreative Trägheit zu befeuern. Die schiere Möglichkeit, einen Text produzieren zu lassen, anstatt darüber nachdenken zu müssen und Zeit und Mühe zu investieren, ist ein verlockendes Angebot – eine Versuchung. Und gerade weil die Einführung generativer KIs ein unübersichtlicher, ökonomischer Wettlauf ist, müssen wir auf solche Risiken achten.

Die Existenz von Risiken schließt jedoch nicht die Existenz positiver “Zukunftspotentiale” aus. Unser Ziel sollte nicht sein, die menschliche Kreativität zu kultivieren, um dabei gleichzeitig die generative KI zu vernachlässigen.

Denn obwohl der Rückzug aus und Entzug von KI-Systemen als gangbare Wege erscheinen, um den menschlichen Geist auch in Zukunft zu kultivieren, können wir auch gemeinsam mit künstlicher Intelligenz kreativ sein. Generative KI kann ein Partner für kreative, geistige Erkundung und überraschende Selbsterfahrung sein. Wir können mit KIs zusammenarbeiten und ein gemeinsames Sense-Making anstreben; und auf diese Weise KI-Systeme verantwortungsvoll nutzen.

Das Argument für Innovation

Unternehmen, aber auch Pädagog:innen, sollten nicht nur darauf achten, wie die Arbeit zwischen Menschen und (KI-gesteuerten) Maschinen aufgeteilt wird. Sie müssen sich auch darauf konzentrieren, wie wir KI nutzen können, um ein gemeinsames Sense-Making zu ermöglichen. Aber warum sollten sie das tun? Die bloße Möglichkeit rechtfertigt schließlich noch nicht, Zeit und Mühe in die Ausbildung solcher Fähigkeiten zu investieren.

Die Antwort: KI ist auf dem Vormarsch. Neue Anwendungen, die auf generativer Deep-Learning-Technologie basieren, werden schneller denn je auftauchen. Und wir werden sie wahrscheinlich in jedem Aspekt unseres Lebens antreffen.

Daher werden Wissensprozesse (z. B. in Bildungssystemen) und Innovationsprojekte die Hauptadressaten solcher neuen Anwendungen sein. Einige der Adressanten gehen möglicherweise nicht maßvoll mit den oben genannten Risiken und darunterliegenden Fragestellungen um: Fördern solche Anwendungen die Kreativität oder ersetzen sie diese (durch Funktionen, die an sich nicht kreativ sind)? Achten sie auf die dynamischen Feedback-Loops, die den Nutzer:innen helfen, sich ihrem eigenen Denken klarer zu werden? Unterstützen solche Tools die echte und auf den Menschen ausgerichtete Schaffung von neuem Wissen? Oder diesem KI-Anwendungen lediglich „stochastischen“ Brainstormings ohne kreatives Ergebnis?

Unser Blogbeitrag ist nur der Anfang dieser kritischen Diskussion, die wir heute führen müssen. Für die Zukunft wird es notwendig sein, ein Konzept zu entwickeln, wie die Interaktion zwischen Mensch und KI gestaltet werden muss, um die menschliche Kreativität zu fördern und nicht zu untergraben. Es wird ein langer Weg sein, aber wir können jetzt schon sicher sein, dass die Art und Weise, wie wir mit KI arbeiten sollten, eher einem Tanz als einer bloßen Arbeitsteilung gleichen kommen muss – vor allem, wenn wir wollen, dass die KI ein erfolgreicher Partner in sinnstiftenden Innovationsprozessen ist.

Wie wir bereits in einem früheren Blog-Beitrag erwähnt haben, ist dies auch entscheidend dafür, dass die menschliche Kreativität in einem zukünftigen Umfeld KI-gesteuerter Wissensproduktion erhalten bleibt – und um sicherzustellen, dass sich die “Knowledge Economy” zielgerichtet und bedürfnisorientiert entwickelt.

Um unsere Diskussion aber noch einmal abschließend zusammenzufassen:

Wir können generative KI-Systeme einsetzen, um menschliche Kreativität zu stützen (und nicht, um sie zu ersetzen). Wir können KI-Systeme nutzen, um Sinn aus uns selbst und unserer Welt zu machen. Und wir können sie in Prozessen der Wissensgenerierung einsetzen, die den menschlichen Geist in den Mittelpunkt stellen.

Aber die Prämisse muss lauten, dass die menschliches “Prompting” (also das Auffordern der Maschine) auch an eine geistige Aufforderung des Menschen gekoppelt sein muss. Es ist die positiv disruptive Aufforderung durch KI-Systeme, die Gedanken und Ideen entstehen lassen kann, die wir sonst nicht gehabt hätten.

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