Strategie als Innovationsprozess

Wie entwickelt man eine Strategie?

“Natürlich weiß ich, wie man Strategien entwickelt”, werden Sie vielleicht antworten. Zwar gibt es auch verwandte Fragen, die keineswegs trivial sind, z. B. die Frage danach, wie man eine Strategie umsetzt oder wie man entsprechende Prozesse sowohl in bottom-up als auch top-down Manier gestaltet. Dennoch ist Strategieentwicklung ein bereits geläufiger, etablierter Prozess. Warum sollte man sich also nochmal damit auseinandersetzen? 

Die meisten von uns haben Strategieentwicklung in einer stabilen und vorhersehbaren Umwelt erlernt. Da sich unsere ökonomische Umwelt aber derzeit drastisch ändert, möchte ich vorschlagen, Strategieentwicklung als einen Innovationsprozess zu verstehen – nicht, um einfach wieder einen neuen Strategieentwicklungsprozess vorzuschlagen, sondern weil ich davon überzeugt bin, dass dieser Ansatz besser zu unserer aktuellen Zeit, zu unserer Zukunft und unseren Bedürfnissen passt.

Warum hat “Strategie” für uns unterschiedliche Bedeutungen?

Wie Mintzberg et al. in ihrem einflussreichen Buch Strategy Safari aufzeigten, kann Strategie für Menschen unterschiedliche Dinge bedeuten. Genauer gesagt haben die Autoren verschiedene Perspektiven / Definitionen von Strategie identifiziert, die für das Verständnis des Wesens einer Strategie äußerst hilfreich sind: Zunächst muss man zwischen einem strategischen Plan und strategischem Verhalten unterscheiden. Ersteres ist die (intellektuelle) Definition eines Handlungsplan, der in die Zukunft projiziert wird – also gewissermaßen der Plan, um von A nach B zu gelangen. Das zweite ist die Betrachtung des Verhaltens einer Organisation in der Vergangenheit. Was hat die Organisation tatsächlich getan? Hat sie in neue Technologien investiert, den Premiummarkt besetzt usw.? Eine realisierte Strategie wird im Nachhinein nie vollständig mit der ursprünglich beabsichtigten Strategie übereinstimmen. Sie wird eben auch neue Aspekte in Form einer emergenten Strategie enthalten.

Außerdem erachten manche Strategie als Position, während andere sie als Perspektive verstehen. Worin liegt der Unterschied? Die Positionierungsschule versteht unter Strategie die Verortung bestimmter Produkte oder Dienstleistungen in bestimmten Märkten. Sie betrachtet Strategie also als die grundlegende Art und Weise, wie eine Organisation Dinge tut. Denken Sie nur daran, dass McDonald’s ein Frühstück im Speiseplan führt (nämlich Egg McMuffin). Genau dies repräsentiert die Perspektive der Organisation (denn sie bieten das Produkt immer noch im McDonald-Stil an). Unterdessen positioniert McDonald’s sich aber am Frühstücksmarkt. Im Gegensatz dazu würde sich die strategische Perspektive des Unternehmens ändern, wenn es dazu übergehen würde, sämtliche Mahlzeiten am Tisch zu servieren (obwohl die Positionierung sich dabei nicht ändern würde).

Sollten wir überhaupt Strategien entwickeln?

Jede*r, die oder der sich schon mal mit Strategieentwicklung beschäftigt hat, weiß, dass es sich keineswegs um eine einfache und geradlinige Aufgabe handelt. Obwohl die Zukunft weitgehend unbekannt ist, ist es das Ziel, einen Weg in die Zukunft zu definieren. Zweck einer Strategie ist, die Richtung vorzugeben, Aktivitäten auszurichten und zu fokussieren. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Gerade in unserer heutigen, turbulenten und sich exponentiell verändernden Umwelt ist Orientierung sowohl für uns als Individuen, wie auch für unsere Organisationen ein Desiderat. Daher sollte eine Strategie als ein Führungsinstrument gesehen werden, das flexibel eingesetzt wird, ohne dabei Chancen zu ignorieren, die abseits des definierten strategischen Pfades angetroffen werden.

Das führt zu der Frage, ob eine Strategie überhaupt notwendig ist, oder noch pointierter, ob eine Strategie mehr schadet als nützt. Es kommt darauf an, wie die Strategie gesehen und umgesetzt wird: gilt sie als fester und unabänderlicher Weg, der unbedingt eingehalten werden muss oder vielmehr als Wegweiser, der die Richtung vorgibt, dabei aber offen ist für alternative Wege, die sich als bessere Optionen erweisen können.

Unser Verständnis von Strategie

Unser Verständnis von Strategie basiert auf der Idee der “Ermöglichung” (“enablement”) und Kooperation. Es ist mit der biologischen Perspektive auf „Nischen“ und „Nischenbildung“ verknüpft. Kauffman (in seinem Buch „A World beyond Physics„) beschreibt den Prozess der Nischenbildung in aller Deutlichkeit:

“Each species affords one or more adjacent possible new niches for yet new species, which so expands what now becomes possible… each species also affords adjacent possible… new niches that invite the next new species… new niches expand faster than the species that create them.”

Wenn man dies in den Kontext von Organisationen (und Strategie) stellt, schaffen Organisationen nicht primär Nischen (Positionierung) für sich selbst und konkurrieren mit anderen Organisationen (um deren Nischen und Positionierung). Vielmehr schaffen sie Nischen durch ihre Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle, die wiederum anderen Akteur*innen des Ökosystems (Mitwirkenden, Dienstleister*innen, aber auch scheinbaren Konkurrent*innen) ermöglichen, zu wachsen oder überhaupt erst zu entstehen. Dies ist, wohlgemerkt, eine radikal ökosystemische und kooperative Perspektive: Organisationen (ko)operieren in wechselseitigen (synergistischen) Beziehungen und ermöglichen, anstatt gegeneinander zu konkurrieren, die Entstehung von Ökosystemen. Kauffman erklärt auf diese Weise beispielhaft, wie die Entstehung von Großrechnern wiederum die Entstehung des PCs ermöglicht hat – und diese wiederum die Textverarbeitung, dann das Modem, das Internet und so letztendlich auch die Entstehung von Amazon.

Strategieentwicklung als Innovationsprozess

Kommen wir noch einmal auf den Gedanken zurück, dass die vorherrschenden Ansätze zur Strategiebildung überholt zu sein scheinen. Strategiebildung, -umsetzung und -controlling in einem kaskadierenden Prozess mögen in einer stabilen Umwelt funktioniert haben, sind aber für unsere aktuelle Situation nicht mehr angemessen. Die Frage ist nun also, wie man abseits etablierter Rezepte Strategien entwickelt.

Auf diese Frage hat theLivingCore eine Antwort gefunden. Unsere Antwort ist, Unternehmensstrategien gemeinsam mit Organisationen in einem intensiven Deep-Dive und radikal offenen Innovationsprozess zu entwickeln. Dazu nutzen wir die seit 15 Jahren entwickelte und universell anwendbare Innovationstechnologie leap, welche darauf abzielt, tiefgreifende radikale Innovationen hervorzubringen. Zu beachten ist, dass dieser Innovationsansatz kein kreativer Sprint oder eine Design Thinking-Übung ist, sondern ein Prozess, der darauf basiert, den Kern einer Organisation und ihre Potentiale tiefgreifend zu verstehen, indem man „von der Zukunft her denkt und von ihr lernt, während sie im Entstehen begriffen ist“ (“Learning from the Future as it Emerges”). Schauen wir uns einmal genauer an, was es bedeutet, wenn Strategien mit einem solchen Ansatz entwickelt werden:

1. Zukunftspotentiale nutzen

Wenn Strategieentwicklung ein Prozess ist, der von einem aktuellen, eher stabilen Zustand zu einem anderen, zukünftigen Zustand überführt, dann muss Strategieentwicklung als ein Prozess der Transformation betrachtet werden. Folglich erfordert sie, dass Organisationen in die Zukunft blicken und Potentiale identifizieren müssen, die noch nicht genutzt werden. Ein solches Vorgehen ist genau das, was (gute) Innovationsprozesse ausmacht, nämlich sich an zukünftigen Potentialen zu orientieren und diese nutzbar zu machen. Auf diese Weise hilft die Entwicklung von Strategien Organisationen, sich auf Potentiale in einer hochgradig strukturierten Weise zu fokussieren und bietet die Grundlage für den Aufbau nachhaltiger Strategien beruhend auf diesen Potentialen (da letztere jeher zukunftsorientiert sind).

2. Das Bestehende (Alte) wertschätzen und in die Zukunft transformieren

Eine der Prämissen des leap-Innovation-Ansatzes ist seine “Inside-Out-Strategie”. Das heißt, der Ausgangspunkt ist nicht, das (äußere) Geschäftsumfeld zu scannen, SWOT-Analysen zu erstellen oder Wettbewerbslandschaften zu zeichnen, sondern in das Innere der Organisation zu schauen: Was ist das Erbe der Organisation? Was ist unser Kern/Essenz, unser “Purpose”? Was ist es wert, transformiert und in die Zukunft getragen zu werden? Die bewusste Auseinandersetzung mit diesen Fragen, wird den Teilnehmer*innen des Strategieinnovationsprozesses dabei helfen, die Geschichte des Unternehmens und seine Kernwerte auf profunde Weise zu verstehen. Ignoriert man das Erbes und und den tiefliegenden “Purpose” (also Sinn) der Organisation, so wird die Entwicklung von Strategien für die Zukunft vorweg untergraben. Lässt man diese Ignoranz aber hinter sich, kann jede Strategie, die später im Prozess entwickelt wird, auf den zuvor explorierten, wertvollen (vorhandenen) Elementen aufbauen und integriert so das Neue (Strategie) mit dem Alten (Positionierung).

3. Die Macht der sozialen Kohärenz für langfristiges Engagement und Commitment 

Offensichtlich muss die Unternehmensleitung Teil eines jeden Strategiebildungsprozesses sein. Strategische Planung, wie wir sie kennen, kann nicht delegiert werden. Versteht man Strategieentwicklung aber sowohl als Innovation als auch als sozialen (und daher Team-Prozess), so ist es nicht nur möglich, kontroverse und anspruchsvolle Themen in einer radikal offenen Art und Weise zu diskutieren, sondern dadurch auch eine starke soziale Kohäsion und Kohärenz zwischen den Teammitgliedern (typischerweise 10 Personen, bestehend aus Senior Management und hohen strategischen Talenten) zu schaffen, die über den jeweiligen Strategieentwicklungsprozess hinausgeht. Themen, Fragestellungen sowie Ideen werden in einer wertschätzenden, aber brutal ehrlichen Weise „verhandelt“. All das hat das Ziel, die zugrundeliegenden Annahmen und Prämissen offenzulegen zu verstehen und zu hinterfragen. Ein solcher Rahmen baut Vertrauen auf, ermöglicht tiefreichendes Lernen und schafft langfristiges Engagement.

4. Das Emergieren der zukünftigen (Aus-)Richtung

Folgt man diesem innovationsbasierten Strategieentwicklungsprozess, entfällt die Notwendigkeit, Optionen zu entwickeln und vorweg festzulegen. In unseren leap-Projekten wird die zukünftige Richtung, die eine Organisation verfolgen sollte, aus sich heraus offensichtlich – sie tritt ganz von selbst zutage. Das heißt; sie entsteht bei der Identifikation und Kultivierung von Zukunftspotentialen, sodass es nicht mehr notwendig ist, zwischen verschiedenen strategischen Optionen zu wählen oder diese zu selektieren. Noch wichtiger ist, dass die resultierende strategische Ausrichtung kein Kompromiss ist. Die Erfahrung zeigt, dass hierbei zunächst ein sehr intensiver Dialog stattfindet, bis das Team einen Durchbruch bei der Definition der Kernsäulen der neuen Strategie erzielt. Da diese Entscheidung aber auf tiefgreifenden Fragen beruht und von Zukunftspotentialen getrieben ist, wird sie nicht schon nach wenigen Wochen in Frage gestellt, sondern von allen Beteiligten nachhaltig mitgetragen.

5. Prototyping und “Fast-cycle Learning”

Bewährte Innovationsprozesse beinhalten das Prototyping und das Testen der Ergebnisse als Kernelemente. Im Kontext der Strategiebildung ist dies von hoher Relevanz, da viele Führungskräfte berichten, dass ihnen die Umsetzung der entwickelten Strategie oft Probleme bereitet und schwerfällt. Daher integriert der leap-Prozess das Feedback der wichtigsten Stakeholder, prototypisiert in einer “fast-cycle” Lernumgebung und entschärft Widerstände, um einer Entkopplung der Strategie vom operativen Geschäft entgegenzuwirken. Am Ende des leap-Prozesses testet, lernt und prototypisiert das Team Aspekte des Strategieentwurfs mit dem Ziel, die Strategie in die operativen Systeme der Organisation zu integrieren. Das Ergebnis ist nicht einfach ein weiterer Strategieentwurf, der darauf wartet, umgesetzt zu werden (oder eben auch nicht), sondern bereits getestete Elemente der neuen Strategie – Elemente, die neue Realitäten schaffen und bereits konkrete Handlungen vorantreiben.

Mit der Bezeichnung „Strategieentwicklung als Innovationsprozess“ wollen wir nicht ein weiteres (Beratungs-)Schlagwort zur Umetikettierung bereits bekannter Ansätze schaffen. In einer VUCA-Umwelt (“volatil, uncertain, complex, ambiguous”) ist es nicht nur notwendig, Strategien hinter sich zu lassen, die von vergangenen Erfahrungen getrieben sind und die vor allem auf Kontrolle beruhen. Vielmehr gilt es, tief in Zukunftspotentiale vorzudringen, die Orientierung für eine zukunftssichere Strategie bieten, die mit der Unsicherheit, Komplexität und Unberechenbarkeit unserer Welt umgehen kann, indem sie Antworten auf die folgenden, generischen Fragen gibt:

  • Wo stehen wir heute?
  • Wo wollen wir hin?
  • Wie kommen wir dorthin?

Wir sind überzeugt, dass es eine in hohem Maße wirkungsvolle Methode ist, Strategien auf diese Weise zu entwickeln. Wenn wir Sie neugierig gemacht haben, freuen wir uns auf ein Gespräch mit Ihnen!

Image: Ivan Bandura at Unsplash

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